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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0296

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280 Fünfter Abschnitt. Das Retabel

(Seine-et-Oise), ein Steinretabel in der ehemaligen Abteikirche zu St-Denis bei
Paris, ein steinernes Retabel in der Quirinuskapelle zu Luxemburg, die Metali-
retabeln von Broddeforp im Museum zu Stockholm, von Odder und Lisbjerg im
Nationalmuseum zu Kopenhagen und von Sab! in Jütland sowie das gemalte Re-
tabel in der Sammlung Amatler zu Barcelona. Indessen lassen die Angaben der
schriftlichen Quellen keinen Zweifel, daß Retabeln sicher( hier und da schon im

11. Jahrhundert in Gebrauch waren, wenn sie auch ihrer Form nach noch nicht das
reich entwickelte Relabel des ausgehenden Mittelalters und der neueren Zeit dar-
stellten. Ob es im 11. Jahrhundert auch schon bemalte Altaraufsätze oder Retabeln
aus Stein gegeben hat, wissen wir freilich nicht, da keine diesbezüglichen An-
gaben vorliegen; indessen ist das auch für die Frage nach dem Alter des Ge-
brauchs des Retabels überhaupt unwesentlich. Auch auf die Frage, inwieweit dieses
im 11. Jahrhundert zur Verwendung kam, läßt sich keine Antwort geben, da die
vorhandenen Nachrichten darüber keinen Aufschluß bieten. Eine größere Verbrei-
tung hatte es indessen damals jedenfalls noch nicht. Scheint es doch selbst im

12. und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts noch keineswegs
häufig gewesen zu sein, weshalb auch der Altar auE den jener Zeit entstammen-
den Bildwerken immer ohne Retabel dargestellt zu sein pflegt. Dann freilich wird
die Sache bald anders, so daß dasselbe um das Ende des Jahrhunderts schon eine
ziemlich häufig vorkommende Einrichtung bildete. Sanclorum Patrum imagincs
quandoque in parietibus ecclesiae, quandoque in posteriori altaris tabula,
quandoque in vestibus sacris et aliis variis locis pinguntur, sagt im letzten Viertel
des Jahrhunderts Durandus in seinem Rationale16. Jakob II. von Aragonien {1291
bis 1327) aber rechnet in seinen Leges Palatinae zu einer vollständigen Kapelle auch
ein pallium, ein retroaltare und ein retrotabularium, unter retroaltare
aber versieht er sowohl einen hinter dem Altar errichteten Hinterbau, auf dem das
Kreuz, die Reliquiare, Evangeliare und Ziergefäße aufgestellt wurden, als auch
den stofflichen Behang desselben, unter retrotabularium die auf der obersten Stufe
dieses Hinterbaus aufgestellte Bildertafel!a. Besonders gewann der Gebrauch des
Retabels im 13. Jahrhundert in Italien an Verbreitung, wo das Aufblühen der
Malerei nicht zum wenigsten auch der Herstellung von Altarretabeln zugute kam.

Lehrreich ist übrigens eine Bemerkung des dem Ende des 13. Jahrhunderts
entstammenden Liber ritualis ecclesiae Magdeburgensis, der sich in einer Hand-
schrift des frühen 15. Jahrhunderts in der Bibliothek des Domgymnasiums zu Magde-
burg erhalten hat. Sie besagt, daß nach dem Brauch der Magdeburger Kirche auf
dem Hochaltar keine gemalten oder geschnitzten Bildwerke, also keine Retabeln
gesetzt würden, sondern nur kostbar geschmückte Evangelienbücher und Sakra-
mentare, Reliquien sowie die Darstellung des Gekreuzigten. Bildwerke seien nur
Schatten des Gegenstandes, den sie wiedergäben, ohne innere "Wahrheit. Anders
verhalte es sich mit den Evangelien, welche die Lehre des Lebens und die Wahr-
heit in sich schlössen. Christi Leiden aber sei uns zum Heile so notwendig, daß wir
keinen Widerstreit ohne seine Hilfe überwinden könnten, weshalb wir es immer
vor den Augen des Körpers und der Seele haben müßten, zumal bei der Messe,
der Gedächtnisfeier des Leidens des Herrn. Es bete ja auch kein Verständiger das
gemalte oder geschnitzte Kreuz an, sondern Christus, den Gekreuzigten; das Kreuz
verehre und grüße er lediglich57. Die Notiz bekundet, daß die Bedenken, auf dem
Altar geschnitztes oder gemaltes Bildwerk, also auch Retabeln, aufzustellen, selbst
beim Ausgang des 13. Jahrhunderts noch keineswegs überall geschwunden waren.
Sie spricht allerdings nur vom Hochaltar, doch will sie nicht sagen, daß bloß dieser
nach Magdeburger Gewohnheit ohne Bildwerk bleiben müsse, die Nebenaltäre jedoch.

* L. 1, c. 3, n. 17.

i. 368 370; c. 13, o. 382 " Otte I, 141 Anm. 2.
 
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