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Aus dem Leben eines Kurzsichtigen.

dem ich von Jugend aus bcsreundet war, und der mich bis-
weilen besuchte, in den Kopf gesetzt. Er war eines Abends,
als ich gerade, was mitunter vorkam, etwas weich und weh-
müthig gestimmt war, zu mir gekommen, um mir die glück-
liche Geburt seines sechsten Jungens anzuzeigen. Dabei hatte
er mich gefragt: „Sag' mal, Raimann, warum heirathest
Du eigentlich nicht? Du hast doch alle Eigenschaften, die
einen guten Ehemann und soliden Familienvater versprechen.
Du würdest eine Frau recht glücklich machen, und Dich, alter
Junge, auch."

„Heirathen?" sprach ich etwas gedankenvoll, „ich hatte
ja oft genug in einsamen Stunden bei Tag und bei Nacht
daran gedacht, aber es nicht recht anzufangen und bei meiner
großen Kurzsichtigkeit keine Bekanntschaft anzuknüpfen ver-
standen, ich glaube, ich bin nun zu alt dazu."

„Zu alt?" fragte mein Freund, „gelt! Du bist noch
nicht vierzig Jahr?"

„Das wohl!" erwiderte ich, „aber nahe daran. Es
fehlen nur noch 4 Jahre dazu."

„Mein Gott! das ist ja gerade das beste Alter zum
Heirathen. Junger Most taugt nichts im Ehestande; der
Wein muß erst abgeklärt sein. Vor dem sechs und dreißigsten
Lebensjahre sollte überhaupt Niemand heirathen."

„Und warum hast denn Du in Deinem sechs und zwan-
zigsten Jahre geheirathet? " fragte ich etwas ironisch.

„Weil ich bis über die Ohren verliebt war und nicht
warten konnte. Nun habe ich aber auch schon sechs Jungenö
in die Welt gesetzt, und wenn das so fortgeht, sieh! so wächst
mir die Familie über den Kopf. Dein Alter ist sicherlich
am besten zum Heirathen, glaub' es mir."

„Nun wenn auch," entgegnete ich gedehnt, „aber zum
Heirathen gehören, wie Du weißt, zwei Personen und an
der zweiten fehlt's eben."

„Schnicknack!" rief er eifrig aus. „Ein Mann wie
Du und mit Deinen Verhältnisse» kann in einer iWoche ein
ganzes Dutzend zur Auswahl haben. Dein Amt, Deine
guten finauciellen Verhältnisse, Deine ganze Persönlichkeit"...

„Und meine Kurzsichtigkeit," unterbrach ich ihn etwas
ingrimmig lächelnd; „es könnte mir ja begegnen, meine Frau
mit der eines Andern zu verwechseln."

„Ei! deshalb trag keine Sorge. Mann und Frau
kennen sich im Finstern."

„Aber," fuhr ich halb und halb schon gewonnen fort,
„wie kann ich einem Mädchen zumuthen, einen Manu wie
mich zu nehmen, mit einem Gebrechen, das..."

„Höre, alter Junge!" fuhr er auf, „Du wirst anzüglich
und spielst auf meine Schwerhörigkeit an. Aber ich sage
Dir, die macht kein Hindcrniß. Eine vernünftige Frau sucht
ganz andere Eigenschaften an dem Manne ihrer Wahl.
Frag' einmal die mehlige, ob sie mich deswegen weniger
liebt, daß ich kein Ohr für — ihre Gardinenpredigten habe?
Nein! kurzsichtig hin, kurzsichtig her! so viel Aug' hast Du
doch im Kopfe, die guten Eigenschaften Deiner Frau zu er-

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kennen, und das ist gerade genug, um glücklich zu machen
und es selbst zu sein."

„Ja," erwiderte ich, „Frauen mögen so vernünftig
denken, aber junge Mädchen? das ist eine andere Frage.
Die machen andere Ansprüche."

„Nicht alle! Du kennst die Mädchen nicht, siehst Du,
weil Du nie mit ihnen verkehrt hast. Ich wüßte Eins
für Dich."

„Das wäre!" rief ich gespannt. „Laß hören!"

„Sieh!" fuhr er fort, „ich würde Dir zunächst und vor
Allen die Tochter Deines Nachbarn, des Leipziger Kaufherrn,
Vorschlägen, ein feingebildetes, liebenswürdiges und allem
Anschein nach sehr reiches Mädchen, wenn ich nicht zufällig
wüßte-"

„Daß sie mich nicht will und mir einen Korb geben
würde," unterbrach ich ihn nicht ohne innere Bitterkeit.

„Ja! aller Wahrscheinlichkeit nach, denn sie soll bereits
verlobt sein."

„Nun!" erwiderte ich etwas kurz, „dann ist's also nichts.
Du sichst, es giebt überall Wenn's und Abcr's bei dieser
Sache und Hindernisse vollauf."

„Ei!" erwiderte er ruhig, „es muß gerade nicht diese
Eine fein! Was sagst Du zu Clärchen Schwalbe? Hm?"

„Des Amtmanns Tochter?" fragte ich.

„Dieselbe."

„Ihr Vater ist ein ganz achtbarer Herr; aber ich kenne
die Tochter nicht, und weiß nicht, ob sie mich kennt."

„ O freilich kennt sie Dich; Dn bist ja bekannt in der
ganzen Stadt.... "

„Wie ein bunter Hund wegen meiner unglaublichen
Mißgriffe, leider Gottes!" unterbrach ich ihn etwas muthlos.

„Ja! und wegen Deiner sonstigen liebenswürdigen
Eigenschaften und schätzbaren Gesinnung. Clärchen ist ein
liebes, lustiges, vielleicht etwas verzogenes Mädchen, nicht
gerade hübsch, aber bei näherem Umgang ganz leidlich, immer
guter Laune.... "

„Ich mag auch keinen Brummbaß!, den will ich selbst
spielen!" lachte ich.

„Und überdcm nicht ohne Mittel."

„Ach! geh mir doch mit Deinen Mitteln!" ries ich
ärgerlich. „Das ist ja reine Nebensache. Du weißt ja,
ich habe mehr, als ich brauche. Also!"

„Das weiß ich und das erhöht Deinen Werth in aller
Anständigen Augen, und ich möchte dafür bürgen,'daß Du
ihr kein unwillkommener Freiersmann wärst."

„Aber , fuhr ich zögernd fort,, „wie soll ich's ansaugen,
mich ihr zu nähern und bekannt mit ihr zu werden?"

„Weißt Du was t" entgegnete er nach kurzem Nach-
finnen, „Du sollst mit ihr bei mir Gevatter stehen. Dabei
kannst Du sie ganz ohne Aufsehn kennen lerne» und die
erste Bekanntschaft mit ihr einleiten. Sagt Dir dann ihr
Wesen zu, so knüpfst Du an; im Gegentheil, suchst Du
eine Andere.

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