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Nr. 2

JUGEND

1900

Spätherbst tm (Aebirge

Im Hoeßwakd herrscht (Verkassenheit,
Kein Lauö ist hakö verkkichen,

Die lKerge sind schon angeschneit,
Der Kommer ist entwichen.

(Vohk schimmert noch ein kichtes Grün
-Auf winternahen Hangen,

(lind spatgeöorne Dokden öküh'n,

Die hin zur Könne drangen.

wartin Greif

Ä

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wie ich Dichter wurde

von Ernst Hardt

\n den vielen Schainhaftigkeiten meiner Iünglingsseele gehörte
es auch, daß ich mich nicht gerne öffentlich zu meinem Be-
ruf bekannte.

Das Adreßbuch gab also hinter meinem Namen mit nichten
meinen Stand an, sondern es war dort zu lesen: Offiziersaspirant.

Mystisches Wort! — Niemand weiß bis auf den Grund, was
es bedeutet — und doch waren alle Leute höflich mit mir — besonders
die preußischen Beamten. — Es klingt eben: Offiziersaspirant.

Dann kam jener Tag — ein neunter Mai war es. — vor mir
lag der Brief mit den steifen Lettern der Schreibmaschine.' „wir
freuen uns, Ihnen mittheilen zu können u. s. w. hochachtungsvoll!
Die Redaktion" ....

Nachdem der erste Rausch sich ein wenig gegeben hatte, be-
gann ich mein Leben zu ändern.

Beim Ordnen meines Schreibtisches kam mir ein Brief unter

die Hände: An den Offiziersaspiranten Herrn.Richtig —

ich sollte ja einer versäumten Anmeldung miegen auf das Polizei-
bureau kommen ..... Aber dieses Wort Offiziersaspirant . . .
es trieb mir die Schamröthe in's Gesicht!

Ich bürstete mich sorgfältig und inachte mich auf den weg.

Der diensthabende Schutzmann war wieder sehr höflich und alles
ging gut. Zum Schluß — ich mit etwas beklemmter Stimme: „Ich
möchte noch bitten, meine Standesbezeichnung in der Polizeiliste zu
ändern: Ich bin nicht mehr Offiziersaspirant."

Er sah mich erstaunt an: „was — Sie sind nicht
mehr. . . ? (unhöflich) was sind Se denn?"

„Ich bin Schriftsteller!"

Mit gedehntenr Blick und gedehnter Stimme: „Unter
die Schriftsteller sind Sie gegangen . . . na, über was
schreiben Se denn?"

Stille.

Grob: „Ueber was Sie schreiben? Ueber Maschinen?"

„Nein."

„Ueber Bilder, über Fijuren?" — „Nein."

„Na was denn? Ueber was müssen Se doch schreiben!"

„Ueber das Leben" ....

„Ueber das Leben!" . . . Lange Stille ... er sieht mich fast
mißtrauisch an .. plötzlich lächelnd: „Ah — so Geschichten schreiben
Sie — so Romane?"

Ich nickte heftig. — Er beugt sich über die Liste, richtet sich
jedoch wieder auf: „Sagen Se mal. machen Sie auch Gedichte?"

Ich erröthend: „Jawohl — bisweilen . . ."

Er neigt sich wieder über die Liste, dann aus tiefem Nach-
denken: „Ja, sehen Sie, wenn Sie auch Gedichte machen — dann
sind Se doch kein Schriftsteller, dann sind Se doch' eigentlich Dichter?"

„Ja, eigentlich bin ich Dichter."

Er beginnt zu schreiben . .. plötzlich: „Ja, sagen Se mal, haben
Se denn auch schon Bücher 'rausgegeben'—sind Se schon gedruckt?"

„Nein aber ich werde es in allernächster Zeit — (schüchtern)
ich weiß es seit heute!"

Er beugt sich über, ohne zu schreiben, und starrt vor sich hin,
dann langsam: „wenn Se aber noch nich gedruckt sind, dann sind
Se doch noch kein richtiger Dichter — meinen Se nich?"

Reine Antwort.

„Nee, seh'n Se, wenn Se noch nich gedruckt sind, kein einziges
Mal, können wir Sie auch nich als Dichter aufführen. — was
machen wir da nu? (träumend:) Rein eigentlicher Schriftsteller sind
Se nicht und kein richtiger Dichter sind Se auch nicht . . . ."

Lange lange Pause — ich kämpfe fast mit
Thränen — er denkt und denkt, murmelt: „Ge-
druckt sind Se nich, gedruckt sind Se nich" — plötz-
lich fährt er erleuchtet auf und sieht mich voll an:
„wissen Se was, ich werde schreiben: D i ch t er-
aspirant — meinen Se nich?"

Mit jedem Traum erwünscht' ich heiß
Für meine Stirn das schlanke Reis.

K

Die Reisegenoffen

ier fromme Leute fuhren über's Meer; wunder-
liche Gesellen, vom Winde aus allen Him-
melsgegenden zusammengeblasen. Natzkahl der eine, zottig der
andere, rostbraun der eine, quittegelb der andere, in scheckigem
Kaftan der eine, in grauer Kutte der andere, jeder verschiedener
Art, verschiedener Heimat, aber alle mit einem Ziele.

Mönch war der erste, Derwisch der andere, der dritte Bonze,
Brahmane der letzte.

Sie dürsteten nach erbaulichem Gespräch, aber es wollte keiner
den Mund aufthun, denn sie waren voll Hoffart.

Doch in der Frühe, wenn der Tag purpurn emporquoll, und
am Abende, wenn er müde die Wimpern senkte, erhoben sich alle vier
gleichzeitig zum Gebet.

Der Mönch schlug murmelnd sein Kreuz, im Kreise drehte sich
heulend der Derwisch, stumm verbeugte sich der Brahmane und glatt
auf dem Boden drückte der Bonze die Nase.

Endlich eines Abends unterbrach der Terwisch das Schweigen-
„Zu wem betet ihr?" fragte er die andern. „Zu Gott!" erwiderte
der Bonze, „zu Gott!" sagte der Mönch, „zu Gott!" der Brahmane.
Da reichten sie sich die Hände als Brüder.

Der Neumond war aufgestiegen und hing als glühende Sichel
über den Wassern.

„Gott wandelt über die Flut!" begann mit Würde der Derwisch,
„an seinem Turban leuchtet der Mond!"

„Du irrst!" fiel verdrossen der Mönch ein, „keinen Turban! einen
güldenen Heiligenschein trägt der Herr um's Haupt!"

„Einen Lotoskranz trägt er!" kreischte der Brahmane, „einen
Kranz von Lotos, weiß und duftend und tausendmal schöner als Dein
lumpiges Scheinchen!"

„Gott soll euch verdammen!" zeterte der Bonze dazwischen, „einen
Zopf trägt der Herr, einen Zopf und blanke Schellen daran, die klingen
nd singen-"

Aber schon war ihm der Mönch mit der Faust ins Gesicht gefahren.

Da wandte das Schiffsvolk sich ab und erhob die Hände
zu den Sternen. Reinhard Volker.

Line Sehnsucht

„Und euch taugt einzig Tag und Nacht."

Lieh, wie die Zeit an der Wende heut ruht. Jn sonniger Klarheit
Blickt fie des Weges zurück, den ein Jahrhundert sie ging.
Heiße Ermüdung aber ergoß die Sonne den Gliedern,
Schattende Hoffnung umspielt kühl ihr die Stirne erst heut.
Aber es waren nicht Gluthen allein, vor denen sie Schutz sucht:
Blendende Helle durchdringt quälerisch Augen und Stirn.
Räthsel auf Räthsel enthüllten uns gläserbewaffnete Augen,
Lösten den Stoff in die Kraft, klärten die Kraft durch den Stoff.
Hallender Schritt durchdringt der Natur verborgenste Tiefe,
Siegend verleiht ihr der Blick eigener Helligkeit Glanz.

Aber ein Tiefstes der Seele, ein Dunkelstes, meldet sich, fordert,
Daß auch ihm die Natur freundlich ein Gegenbild leiht,
vieles erkannten wir wohl; nun glaubten wir Alles zu kennen —
Scheu aber barg sich dem Blick nur des Geheimnisses Recht.
Die wir so vieles gesehn, wir sahen nicht alles das viele,

Das uns unsichtbar umgibt, hören nicht, was für uns schweigt.
So viel Licht erst mußte der Geist durch die Welten ergießen
LH' er das Dunkel entdeckt, das unsre Helligkeit trägt.
Nein, nicht zeigt uns die Sonne allein, wohin wir gehören:
Tief in das Dunkel hinein schickt seine Wurzel das Sein!
Lehre Du strahlender Tag, uns neu des Geheimnisses Rechte!
Gib uns, o kommende Zeit, gib uns die Ehrfurcht zurück — S.

G, Kleinhempel
Register
Ernst Hardt: Wie ich Dichter wurde
Reinhard Volker: Die Reisegenossen
Martin Greif: Spätherbst im Gebirge
S.: Eine Sehnsucht
Gertrud Kleinhempel: Klee
 
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