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1901

JUGEND

Nr. 14

Nachklang

der Münchner Prinzregentenfeier

„Papa, gibt es im Himmel auch so viele Lich-
ter?" Die Kleine, deren weit aufgerissene Angen
unaufhörlich von rechts nach links wandelten, um-
klammerte mit ihren runden Fingerchen meine
knochige Linke und drückte die rothen, heißen Bak-
ken in meinen Mantel hinein. Dabei athmete
sie schwer und hastig, als ob sich ihr die unge-
wohnte Pracht wie ein Alp aus die Brust lege.
Es war aber auch schön, schöner, als ich welt-
erfahrener Mann es mir je hatte träumen lassen.
Eine fürstliche Geburtstagsfeier in der That! Es
lohnte sich wohl, achtzig Jahre zu leben, um diese
tausendfachen Wunder des Menschengeistes und der
Menschenhand zu schauen. Bayerns greiser Regent,
dessen erste Jugend ins Zeitalter der Postkutsche
und der Oellampe fiel, hat in den drei Menschen-
altern, die er unter uns weilt, Größeres und Ge-
waltigeres miterlebt, als ein Dutzend seiner Ahnen
in vielen Jahrhunderten. Ich rede nicht von den
politischen Umwälzungen, deren Zeuge er war.
Tie erscheinen dem, der den breiten Strom mensch-
licher Kultur mit einem Blick überschaut, trotz ihrer
hohen Bedeutung für die Fortentwicklung der
Nation gering und unscheinbar neben den Groß-
lhaten der Naturwissenschaften und den Wundern
der inodernen Technik. Danipf und Elektrizität
heißen die beiden großen Revolutionäre der neuen
Zeit. Erst die Elektrizität hat die Nacht besiegt.
Erst sie kann Tagesfreude und Tagesjubel über
die mitternächtige Welt schütten und alle Schön-
heit, die Natur und Menschenhand geschaffen, den
staunenden Augen der Menschen offenbaren.

Vor mir liegt die Ludwigstraße. Wie Glüh-
würmchen kriechen die tausend und abertausend
Lichter den breithingelagerten Gesimsen entlang.
Scharf treten die einfachen, geraden, großen, ruh-
igen Linien der fest auf der Mutter Erde ruhen-
den Bauten hervor.

Auf dem Max-Josephplatz dieselbe antik an-
muthende, vornehme Einfachheit; nur daß die elek-
trischen Glühbirnen, die an den, den ganzen Platz
umspannenden, Tannenguirlanden tanzen, dem
feierlichen Ernst der qualmenden Pechpfannen vor
dem Hoftheater etwas nervöse Unruhe gesellen.

Dagegen welch anderes Bild der Marienplatz.
Die zappelnde Gothik, das sehnsüchtig nach dem
Himmel verlangende Mittelalter steht buntschillernd
vor uns da. Um die Mariensäule rankt sich im
Wirbeltanz ein Kranz rother und weißer Rosen
hinauf, und am Rathhaus klettern die buntfarb-
igen Glühlichter blitzschnell an den Spitzbogen em-
por, um in den verschnörkelten Rosetten ein bis-
chen Caroussel zu fahren. Die bewegte, unruhige
Architektur und die bunten Lichter — welcher Ein-
klang zwischen Bau und Dekoration I

Aber nicht nur hier auf dem Marienplatz, nein,
auch drüben vor dem Karlsthor über den ganzen
Maximiliansplatz weg, dessen Seiten in einem ein-
heitlichen elektrischen Lichtmeere schimmern. Hell
leuchtet die Kuppel des Justizpalastes über die
Dächer der übrigen Stadt hinweg, in ihren wohl-
gefälligen Bogenlinien eine neue Zeit deutscher
Kunst verkündend. Eine neue, aber nicht die
neueste. Dort drüben, wo das rothe, bengalische
Licht alle Büsche umqnalmt und das Wasser des
Hildebrand'schen Brunnens in Blut verwandelt,
dort, wo aus all der Gluth heraus im grünlichen
Schimmer die mächtigen Ungeihüme mit den mus-
kelstrotzenden Reitern treten, dort, wo alles, Na-
tur, Plastik und Beleuchtung, nervös hin- und her-
slackert, dort hat die Bioderne ihr Zelt aufge-
schlagen.

Doch genug. Ich bin hinausgcgangen, um
eine Illumination zu sehen. Und ich sah — zu
meiner Beschämung gesteh' ich's — zum ersten
Aial, wie schön, wie wunderschön unser geliebtes
München ist. Und dielen ästhetischen Genuß ver-
dank' ich einzig und allein dem elektrischen Licht.

Or. lv.

Uorä Litehener verhandelt mit Bötha
über einen Waffenstillstand durch Vermittlung
der Gattin Botlias.

3u§ dem TagevüS eines 8erkannken

Ls bildet ein Talent sich in der Stille,

L'in Katarakt stch in dem Strom der Welt,

Uns Ungewisse dunzelt sort der Wille,

Und pan ist krank, und pumpen muß der Lcldi

Auch llott' ist todt und nimmer kehrt sie wieder,
Doch ewig wiedcrkehrt der alte Wahn,

Stets kommt die Sphinx mit neuen Aäthseln nieder,

Miquel

Zeitungsnachrichten zu Folge hat sich Atiquel
in Frankfurt a. At. eine Wohnung gemiethet.

Glücklich der, der fern von Staatsgeschäften,

Sich als Privatmann ruhigstill vergnügt:

Bald lauscht er einem Vortrag in dem pochstist,
Bald weilt im Palmengarten er entzückt.

Dann gehts ins Gpernhans zu Premieren,

Im Saalbau lockt ein feineres Lonzert;

Im Zoologischen ein neuer Affe,

Iin Niederwald der Sport zu Rad und Pferd.
Nachdem also gesprochen unser llliqnel,

Der künftige Privatmann att dem lllain,
Entwirft er seine neusten Steuerpläne
Und ölt die Steuerschraube fetter ein.

Die preuNscben Oberlehrer

Bravo. lUiqnel, brav gesprochen!

Bast die Lehrer schön verklopft!
weine Gründe! Grobe weile!

Und die Uläuler sind gestopft.

Diese Frechheit! Gleichheit schrei'» sie,
lllit dem preußischen Richterstand!
wlingt das nicht wie Anarchismus?
Uochmuth, weh! nimmt überhand!

Dem Juristen Brden, Titel,
pöh'res Avancement, Gehalt!

Ideal sei stets der Lehrer,
lverd' bei Idealen alt!

Non possumus

In einer soeben veröffentlichten Lebensbeschreib
ung König Eduards ist ein Brief des Prinzen
von Wales au den Erzbischof von Canterbnry
abgedruckt, in welchem es heißt: „Ich habe einen
wahren Widerwillen gegen Hazardspiel Und werde
stets mein Möglichstes thun, um aiidere davon
abzuhalten, die dafür inkliniren. denn ich bin der
Ansicht, daß Spielen ebenso wie Unmäßigkeit der
größte Fluch ist, der auf einem Lande lasten kann."

Wie heißt's doch gleich in dem schönen Gedicht
von König David und Salomo:

„Doch als sie nicht mehr konnten so,

Von wegen hoben Alters,

Schrieb seine Sprüche Salomo
Und David seine Psalters."

— Dotij. —

Das Titelblatt dieser Nummer wurde nach
einem Bildnisse hergestellt, das Professor
Dr. Franz von Lenbach im Jahre 1881 unter
einer Linde im Parke zu Varzin gemalt hat.
Das Originalgemälde ist im Besitze des Heraus-
gebers der „Jugend“.

AVir können nunmehr unseren Lesern
mittheilen, dass das Titelblatt zu Nummer 11
dieses Jahrgangs (junger Löwe) von Adolf
Wagner, Lehrer an der kgl. Kunstakademie
zu Kassel, gezeichnet wurde.

Und schaurig schunkelt Hin der Weltenkahn!

Der Uebermensch wird immer mehr lymphatisch,
Um Urschleim gährt ein höhnisch Lrekekcr,

Das wcltenei bleibt ewig problematisch.

Und höhrer Llödsin» ist 5uprema lex!

219

Gertrud Kleinhempel
Register
Reinhard Volker: Aus dem Tagebuch eines Verkannten
Monogrammist Frosch: Botha-Coriolan
Gertrud Kleinhempel: Vignette
Dr. W.: Nachklang der Münchner Prinzregentenfeier
[nicht signierter Beitrag]: Die preußischen Oberlehrer
[nicht signierter Beitrag]: Non possumus
Redaktioneller Beitrag: Noziz
[nicht signierter Beitrag]: Miquel
 
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