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Nr. 47

JUGEND

1903

Männer hüten, die einen ausgebildeten Ehrbegriff
im Leibe hätten, und die mit Muth und ohne
Zaudern jeden Augenblick bereit wären, ihr Leben
für ihre Ehre in die Schanze-zu schlagen.

Bei diesen gefestigten, idealen Anschauungen
war es ein Glück für ihn, daß er es trotz Iuden-
thums zum Vicefeldwebe! der Reserve gebracht
hatte. Als er zum ersten Male die Uniform an-
hatte, als der Säbel raffelte, und selbst Unter-
offiziere ihm Honneur erweisen mußten, damals
konnte er, glaube ich, sogar seine einstige Be-
schneidung in Tremeffen vergessen!

Ich wunderte mich von Anfang an, daß Herr
Lohan den schwarzen Schandfleck seines Lebens
nicht schon längst durch die Taufe ausgemerzt hatte.

Lines Abends fragte ich ihn offen, warum er
sich nicht taufen ließe.

„Sehen Sie," sagte er, „diesen Schritt würde
ich nie thun. Mein Großvater — der übrigens
lange Jahre Stadtverordnetenvorsteher in Tre-
meffen war — war sehr fromm. Er war auch
Vorsteher der jüdischen Gemeinde, und er würde
sich im Grabe umdrehen, wenn ein Tohan jemals
abtrünnig würde. Ja! — ich besitze eben Pietät.
Nie würde ich die heiligen Familientraditionen
durchbrechen, wer sich von den Familienbanden
befreit, der wird sicher auch bald das Sittengesetz
vergessen, und dann noch ein Schritt weiter —
und er ist ein Sozialdemokrat! Uebrigens ist unsere
Familie durchaus aufgeklärt. Eine entfernte Ver-
wandte von mir hat sogar einen Christen ge-
heirathet, und auch sonst hat meine Familie in
Tremeffen den feinsten christlichen Verkehr!"

Solch' herrliche Männerworte sprach damals
der kleine Tohan.

Aber seine durch Pietät veredelten, idealen An-
sichten bekamen einen hörbaren Knacks, als er ein
Jahr später Assessor geworden war. Daß er sich
nur zur höheren Staatscarriere eignete, stand bei
ihm fest. Seine Aussichten waren nicht schlecht;
denn durch sein Streberthum, durch seine „ge-
diegenen" Anschauungen war er oben gut ange-
schrieben. Aber den Juden mußte er so schnell
als möglich abstreifen. Das war ihisi klar — ohne
Taufe kein Vorwärtskommen.

Die Sache ging ihm an die Nieren. Blaß und
kummervoll ging er umher, geplagt im Zwiespalt
zwischen ehrgeizigen Plänen und Pietät.

Er schüttete Rhode sein Herz aus und bat ihn,
ihm vorläufig einmal das neue Testament zu bor-
gen; denn ohne eine gewisse innere Ueberzeugung
könnte er nie zum Taufbecken schreiten.

Nach acht Tagen trafen wir ihn an einem
Sonntage, gerade wie er aus der Kirche trat. Das
neue Testament hatte er vorsorglich in Zeitungs-
papier eingeschlagen, damit das große, goldene
Kreuz auf dem Deckel nicht zu sehen wäre.

Diese Begegnung war ihm sehr peinlich; denn
mir hatte er von seinem Taufplane noch nichts
erzählt. Ich wußte natürlich alles schon durch
Rhode. Ich war aber niederträchtig genug, ihn
zu fragen, ob wir denn heute Feiertag hätten.

Am nächsten Abend kam er zu mir und fragte
mich nach vielen Umschweifen, was ich dazu sagen
würde, wenn er sich taufen ließe.

„Lieber Lohan", sagte ich, „Sie glauben
doch weder an die eine, noch an die an-
dere Religion. Ein nationales Empfinden
für das Iudenthum haben Sie auch nicht.

Also ■— was wollen Sie noch in der
Gemeinde? Larriere wollen Sie machen A
und Sie werden sie machen, wenn Sie
nicht mehr Jude sind. Vergessen Sie Ihre
bewundernswerte Pietät, wechseln Sie
Ihre Religion — wie Sie Ihr Hemd
wechseln. Ohne Gewissensbisse! Kurz und
gut: Lassen Sie sich taufen! Tremeffen
bleibt deshalb doch Tremeffen! Und dann
vergessen Sie nicht, daß in Ihrer Familie
doch ohnehin schon ein angeheiratheter
Christ vorhanden ist."

Diese Rede machte tiefen Eindruck auf
ihn; denn am nächsten Tage theilte er uns
mit, daß er zur Taufe entschlossen wäre.

Nachdem er drei Präparationsstunden zum
Lhristenthum bei einem Pfarrer genommen hatte,
war er bereits fest davon durchdrungen, daß er
sich aus Ueberzeugung taufen ließe, und daß seine
ideale Natur nur in der christlichen Sittenlehre
ihre vollkommene Befriedigung finden könnte.

Als ich in diesen Tagen einmal zu ihm kam,
las er eifrig die Blätter für innere Mission. Er
behauptete zwar, daß sie ihm ohne sein wissen
zugesandt wären, aber vor ihm lag die Abonne-
mentsquittung.

Der Tag der Taufe rückte immer näher. Lo-
han sah entschieden blaß und elend aus. Der alte
Adam ließ sich doch nicht leicht ausziehen, be-
sonders wenn er in Tremeffen großgezogen war.

Die Taufe fand an einem Wochentage Nach-
mittags um 5 Uhr statt. Ich sollte zwar um r/26
vor der Kirche die andern erwarten, aber ich konnte
es mir nicht verkneifen, mir den Taufakt an-
zusehen.

Die Kirche war dunkel, als ich eintrat. Nur
vorn am Altar brannten ein paar Lichter.

Ich setzte mich hinten in einen Sitz des Mittel-
schiffes. So konnte ich gut beobachten, ohne selbst
erkannt zu werden.

Am Altar stand bereits Lohan im feierlich
schwarzen Rocke; daneben Rhode und ein bekannter
Philologe als Tauszeugen.

Lohan mußte wohl gehört haben, daß jemand
die Kirche betrat. Er drehte sich mehrmals um,
zischelte mit Rhode und dann sahen sich beide
nach mir um.

Ich glaube, Lohan erblaßte.

Dann erschien der Pfarrer.

Er machte seine Sache kurz und taktvoll. Er
hob hervor, daß Lohan aus Ueberzeugung zu ihm
gekommen wäre, daß er um seinen innern Frieden
gekämpft hätte, und seine Seele erst in der christ-
lichen Sittenlehre, in der Lehre von der Nächsten-
liebe, ihre Beruhigung und Befriedigung gefunden
hätte.

Dann nahm der Pfarrer die Taufe vor.

Es fiel mir auf, daß er dabei den Namen
„Lohan" nicht wie wir auf der ersten, sondern
auf der letzten Silbe betonte, die er volltönend und
ein wenig gedehnt aussprach.

Er betonte so, wie es die hebräische Abstam-
mung des Wortes von „Kohanim — die Priester"
erforderte.

Siegfried Lohan! Der Name war und blieb
trotz der besten Taufe immer verfänglich!

Ich drückte mich, während der Pfarrer Herrn
Lohan gratulirte und wartete vor der Kirche auf
die andern.

Lohan erschien. Er sah blaß und angegriffen aus.

Seine erste Frage war, ob nicht kurz vorher
jemand die Kirche verlassen hätte.

„O ja," schwindelte ich, einer boshaften Laune
nachgebend, „vor fünf Minuten kam ein Mann
heraus, offenbar ein Zeitungsreporter. Er stand
noch eine weile hier unter der Gaslaterne und
machte sich Notizen."

Lohan wankte: O weh! Morgen wußte ganz
Tremeffen seinen Abfall, und der tobte Großvater,

r

der ehemalige Synagogenvorsteher, mußte mit seinen
Umdrehungen beginnen!

Er war wie gebrochen, — wir schleppten ihn
förmlich in seine Wohnung.

Für diesen Abend konnte Lohan seines neuen
Lhristenthums nicht froh werden. Der Reporter
der jüdischen Zeitung lastete auf seiner Seele.

Erst am nächsten Tage, bei einer Flasche wein,
thaute er ein wenig auf und schilderte mir den
Taufakt.

„Und was sagen Sie dazu," schloß er seine
Beschreibung, „daß der Pfarrer mich meines Aus-
sehens wegen für einen Romanen gehalten hat!
Er sprach meinen Namen direkt französisch aus.
Er betonte ihn stets auf der letzten Silbe. „Lo-
han" jagte er. Ja — da ich nun Lhrist bin, ist
es mir doch sehr angenehm, daß mein Name nicht
so verdammt jüdisch klingt und auch mein Aus-
sehen mit meiner Religion übereinstimmt."

was man in Tremeffen zu Lohan's Schritt
gesagt hat, kann ich nicht vermelden; denn Herr
Lohan (den Accent hat er Sicherheits halber bei-
behalten), behandelte mich, seit er offiziell Lhrist
geworden war, sehr von oben herab und zog sich
von mir mehr und mehr zurück.

Nunensprüche

Will einer willen, war er vermag
Und offenbaren, war 'in ihm Ut:

Er wage den Kampf gegen Wind und 5onne!

ßur Thoren lagen, dah Ihörichl Tel

0er Mann, der gegen die 6ö11er lich Ttellt:

3n lolchem Ringen wuchr mancher zum Riefen

Dem 5chicklal erliegen, bringt keine 5chmach
Dem Melden, der tapfer getrotzt dir zuletzt;
Ruhmlor fällt nur Zchwächling und leigling.

.Hm Morgen und Mittag glaube kein Mann,
)hm lei entlchieden der Lager 6elchick;

.Hm Abend glaub' er, dah Aller beltimmt war!

Hlbert JMattbäi

Go ist das Leben

Sie wollte sein Page sein. Er wollte ein
Kämpfer sein und muthig kämpfen.

Seine kleine Geliebte wollte tapfer sein, immer
ihn anspornen, seine Fahne Hochhalten. Sie wollte
die Fahne niemals sinken lassen und sie ihm vor'
austragen, bis in den Tod.

Sie wurde aber kein Page, seine kleine Ge-
liebte. Sie wurde zu rundlich dazu. Dann hatte
er auch gar keine Zeit zu streiten und kämpfen.
So wurde gar keine Fahne hochgehaltenl Außer-
dem wäre dies niemals möglich gewesen, denn
er hatte gar keine I w.

Lächeln und Lachen

wen würde Aosa's Lächeln nicht

bethören?

wer könnte diesem Lächeln widerstehn?
Und doch: ich mag die Schöne nicht

mehr sehn.

warum? — Ich Hab' sie einmal

lachen hören.

K. E.

Splitter

(Aaupen un5'<Rünflf« müssen sich erst ein-
mal einspinnen, um Falter zu werden.

"Kräutlein Humor gedeiht am Kesten
Julius Diez aus ThränenacKer. E- ' •

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Julius Diez: Im Fasching, Vignette
R. V.: Splitter
K. E.: Lächeln und Lachen
Albert Matthäi: Runensprüche
W.: So ist das Leben
 
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