Nr. 44
In der letzten Sekunde bekam Mogren ihn zu
fassen und ließ ihn vor sich runtergleiten.
„Nein, pfui Teufel, nochmal" — brach da der
Leutnant los. — „Das geht zu weit. Das hat
er nun den ganzen Sommer zu üben bekommen.
Es ist die höchste Zeit, daß er es jetzt kann. .
„Ja, Leutnant. Doch das ist nicht bloß eine
— Fertigkeit" — bemerkte der Philosoph sofort
und in tiefem, pädagogischem Ton.
„Was meint er, Mogreu?"
„Ja. Das ist auch eine — Willenssache."
„Hm. Ja, ja! Daß - ja, wie ich früher
schon argwöhnte? Daß — dies jedenfalls —
Trotz ist? Meint er das?"
Es durchzuckte Salmson. Er wurde noch
bleicher als während der Todesgefahr oben auf
dem Querholz.
Mogreu fuhr leicht überlegen fort: „Nein,
Leutnant. Nicht so direkt. Aber eine unbewußte
Widersetzlichkeit innen im Seelischen, welche durch
persönliche Einwirkung auf das Seelische über-
wunden werden müßte."
Der Leutnant runzelte die Augenbrauen und
strich seinen kleinen, dichten Schnurrbart, sichtlich
unangenehm berührt. Er nickte, als ob er ver-
standen hätte, stieß den Säbel hinter die Beine
und sagte, scharf befehlend, eindringlich:
„Ja. — Jedenfalls ist Er für mich verant-
wortlich, daß Salmson diese Uebung hier lernt.
Ich gebe Ihm vollkommene Macht über 212, über
Leib und Seele. Amen.-Zweites Glied
vor!"
* * *
Während der Frühstückspause besprach die Kom-
pagnie den Fall. 403 Mogren schritt wie ein
Häuptling durch die Schar, sein hocherhobenes
Haupt flammte in Purpur und Weiß, wie das
eines seltsamen feinen Vogels.
Als er in den Eßraum der Kantine ging, wo
die, welche die Mittel dazu batten, der Kost des
Staatesnackhalfen, saß der kleine Salmson schon
auf seinem Platz und schien sein Frühstück in der
kurzen Zeit von höchstens zehn Minuten beendigt
zu haben.
„Hast Du keinen Appetit heute, 212?"
Salmson antwortete mit einem stummen
Lächeln, das schnell verschwand. Seine Gestalt
war gleichsam in dem Waffenrock zusammenge-
sunken, und das unregelmäßige Gesicht mit seiner
Mischung von Kind und Mann, drückte tiefsinnige
Grübelei aus. Aber Mogren beachtete es nicht.
Er ließ sich grade gegenüber nieder und schmatzte
so zufrieden, daß Salmson aufsah. Beim Anblick
dieses lachenden Erdbeerhauptes zuckte es wieder
in Salmsons Blick, und als er ihn niedersenkte,
hatte er einen Ausdruck von bodenloser Demütigung.
— Doch es lag auch zugleich etwas anderes darin,
und das entging dem Philosophen nicht, der ein
großer Beobachter und überdies Spezialist für
212 und sein Seelenleben geworden war. Der
Leutnant hatte mit seinem Wort über Salmsons
Leib und Seele bloß ein tatsächliches Verhältnis
bestätigt. Salmson pflegte ja auch selbst die Ab-
hängigkeit von dem, der sein Leben jeden Morgen
zwischen 6 und 7 in der Hand hielt, hübsch an-
zuerkennen.
Aber heute schien er eigensinnig. Und das
was da in seinen Augen glomm, gab Mogren
einen neuen Einblick in das unbewußte Seelen-
leben, auf welches einzuwirken er die Pflicht und
Schuldigkeit hatte. War das nicht gerade ein
Zeichen jenes Trotzes?
Mogren aß, während er philosophierte. Dann
sagte er plötzlich, sanft einleitend: „Was geht in
Dir vor. 212?"
„Gar nichts — Mogren."
Mogren lachte giftig, doch behielt er seine
überlegene Ruhe bei.
„O ja, Freundchen. Ich sehe wohl, daß da
etwas vorgeht. Vielleicht auch — was."
„Weshalb" — Salmson kaute gleichsam an dem
Worte — „weshalb frägst Du dann?"
JUGEND
Und er erhob sich. Da stand 403 gleichfalls
auf. Aber da — setzte sich Salmson wieder und
blieb sitzen.
„212," schloß der Philosoph mit bedeutungs-
vollem Tonfall — „212, Du kannst nichts mehr
vor mir verbergen. Und Du sollst es lieber nicht
versuchen — zu Deinem eigenen Besten."
Und nach einem Druck auf Salmsons Schulter
verließ er würdevoll den Raum.
Doch 212 blieb zurück inmitten des starken
Geruchs von Bier und gehackten Wachholderreisern;
die ganze Rastzeit verweilte er dort in tiefen Ge-
danken, und so verlief ihm auch der Tag. Er
blieb gleich zerstreut auf dem Felde während des
Exerzierens, wie während der Betstunde und zu-
letzt oben in der Baracke.
— Mogren — unbeschränkte Macht — ohne
Kontrolle. Das ist noch schlimmer als der Quer-
baum.
So dachte Salmson.-Die ganze Nacht
lang grübelte er, und als die Reveille ertönte,
stand er auf, fahl und verwacht, aber mit einem
Lächeln auf den vollen Lippen, wie einer, der
einen großen Beschluß gefaßt hat.
Der Tageskorporal rief zur Doktoruntersuchung
auf und eine Anzahl wirklicher und verstellter
Kranker sammelte sich um ihn. Unter ihnen war
auch 212. Sie marschierten zu dem Arzt; die
Kompagnie trat an.
Man vermißte ihn erst, als der Querbaum
aufgestellt und das erste Glied vorkommandiert
worden war. Aber grade als der Leutnant mit lauter
Stimme nach 212 fragte, tauchte der in der offenen
Tür auf. Er lächelte fortgesetzt — zum ersten Mal
an diesem Orte —, doch bleich und mit einem
unbezwinglichen Zittern schlug er die Hacken zu-
sammen, machte Honneur und kam dem Leutnant
mit folgender Botschaft zuvor: „Leutnant! 212
Salmson meldet, daß der Doktor" — ein Sausen
fuhr durch die Turnhalle — „daß der Doktor ihm
— mir — die Uebung auf dem Querbaum ver-
boten hat."
„Ja. So. — Verboten? Weswegen?"
„Wegen — wegen zu schwacher Brust und leicht
angegriffener Herztätigkeit. Statt dessen soll ich —"
„Gut. Ich werde selbst mit dem Doktor reden.
— Weggetreten!"
In der Halle war es still. Man hörte das
Echo der Trommelwirbel und Hornsignale draußen
im Augustmorgen ertönen- Und Salmsons Schritt
hallte seltsam drinnen, als er wieder seinen Platz
im Gliede vor Mogren einnahm. Sie tauschten
einen raschen, kurzen Blick in dem Moment und
es lag ein Lächeln über den Zügen Beider.
Seitdem entging Salmson dem Querbaum.
Mit seinem bescheidenen Appell hatte er außer-
ordentlich den Doktor für seine Sache gewonnen,
wurde gründlich untersucht — und hatte gesiegt.
^2
07? C. Schu/albach
1907
Die Kompagnie bewunderte weder seinen Mut,
noch billigte sie dessen Belohnung, aber das
kümmerte ihn wenig. Der Schluß der Uebungs-
zeit war nahe und kam mit jedem Tag immer
berauschender heran. — Der Leutnant veränderte
sein Betragen anständigerweise nicht, eifrig und
wachsam behielt er die Aufsicht über Salmsons
einfache Freiübungen, während die anderen, unter
ihnen 403, die Kunststücke an den Querbäumcn
machten.
Doch 403 zog feine Hand ganz von seinem
Schützling ab. 212 brauchte ihn nicht mehr, und
das war es gerade, was 403 aufregte. Salmson
hatte seinen Lehren gehorcht und die Sache zu
einer Willenssache gemacht — und so war er fort-
geglitteu wie ein kleines, schlüpfriges Reptil
Am letzten Diensttage, als sich alles in Auf-
lösung befand und die Baracke von Harmonika-
spiel und Gesang widerhallte, saß der kleine
Salmson in wehmütigem Glück, mit gekreuzten
Beinen, auf seiner Pritsche. Da fand er auf
der Decke ein kleines Billet, versiegelt und mit
seiner Nummer und seinem Namen auf der
Außenseite. Er erbrach es ganz in Gedanken.
Und mit einem stillen Lächeln las er:
„Freundchen!
Lebewohl und Dank! Es ist Dir nicht geglückt,
mich das, was ich für Dich getan habe, bereuen
zu lassen. Ich bleibe Dir dankbar — weil Du
— unbewußt — meine Kenntnis der Menschen-
seele vermehrt hast.
Dein wahrer Freund
403."
Den Morgen darauf, dem Tage des Aufbruchs,
der Abreise und Befreiung, einem silberschimmern-
den und bleichen Herbsttage, fand 403 Mogren
auf dem Kopfkissen ein kleines versiegeltes Billet-
Er erbrach es lachend und las:
„Freund!
Dank — und Verzeihung! Dank für die Zeit,
die glücklicherweise vorbei ist. Dank dafür, daß
Du mich vom Tode gerettet hast. Und Verzeihung,
daß ich mich selbst vom Querbaum rettete — und
von Dir. Dank auch — gleichfalls Dir — für
meine nun vermehrte Kenntnis der Menschenseele.
Dein aufrichtiger
212."
(Aus dem Schwedischen von F. E. Vogel)
bleues von Serenissimus
Serenissimus besucht eine Gemäldegalerie und
Kindermann erklärt. „Das ist Faust und Gret-
chen!..." Lange denkt Hoheit angestrengt nach,
endlich geht ein verständnisvolles Lächeln über
sein Gesicht: „Aeh . . . äh . .. weiß schon, Kinder-
mann ... das ist das: ,Bin weder Jungfrau,
bin weder schön'. . ."
Liebe Jugend!
Regierungsrat von R. macht mit seiner
Familie eine Italienreise, und gebührend wird
dabei der schiefe Turm in Pisa bewundert.
„Sehr schön! Sehr schön das, hm," meint
k^err v. R. nachdenklich, „nur begreife ich
nicht, . . . a — hm ... wie man so etwas bau-
polizeilich gestatten kann!"
Sters die Gleichen
Ob sie nun in Domen horsten,
Ob in Tempeln, schon geborsten,
In Moscheen, in Synagogen,
Zwischen Säulen, unter Bogen,
Unter Palmen, unter Eichen,
Immer sind es doch die Gleichen:
Schnäbel stets nach einem Schnitt,
Stets dasselbe Kolorit!
Reinhard Volker
s
!
986
In der letzten Sekunde bekam Mogren ihn zu
fassen und ließ ihn vor sich runtergleiten.
„Nein, pfui Teufel, nochmal" — brach da der
Leutnant los. — „Das geht zu weit. Das hat
er nun den ganzen Sommer zu üben bekommen.
Es ist die höchste Zeit, daß er es jetzt kann. .
„Ja, Leutnant. Doch das ist nicht bloß eine
— Fertigkeit" — bemerkte der Philosoph sofort
und in tiefem, pädagogischem Ton.
„Was meint er, Mogreu?"
„Ja. Das ist auch eine — Willenssache."
„Hm. Ja, ja! Daß - ja, wie ich früher
schon argwöhnte? Daß — dies jedenfalls —
Trotz ist? Meint er das?"
Es durchzuckte Salmson. Er wurde noch
bleicher als während der Todesgefahr oben auf
dem Querholz.
Mogreu fuhr leicht überlegen fort: „Nein,
Leutnant. Nicht so direkt. Aber eine unbewußte
Widersetzlichkeit innen im Seelischen, welche durch
persönliche Einwirkung auf das Seelische über-
wunden werden müßte."
Der Leutnant runzelte die Augenbrauen und
strich seinen kleinen, dichten Schnurrbart, sichtlich
unangenehm berührt. Er nickte, als ob er ver-
standen hätte, stieß den Säbel hinter die Beine
und sagte, scharf befehlend, eindringlich:
„Ja. — Jedenfalls ist Er für mich verant-
wortlich, daß Salmson diese Uebung hier lernt.
Ich gebe Ihm vollkommene Macht über 212, über
Leib und Seele. Amen.-Zweites Glied
vor!"
* * *
Während der Frühstückspause besprach die Kom-
pagnie den Fall. 403 Mogren schritt wie ein
Häuptling durch die Schar, sein hocherhobenes
Haupt flammte in Purpur und Weiß, wie das
eines seltsamen feinen Vogels.
Als er in den Eßraum der Kantine ging, wo
die, welche die Mittel dazu batten, der Kost des
Staatesnackhalfen, saß der kleine Salmson schon
auf seinem Platz und schien sein Frühstück in der
kurzen Zeit von höchstens zehn Minuten beendigt
zu haben.
„Hast Du keinen Appetit heute, 212?"
Salmson antwortete mit einem stummen
Lächeln, das schnell verschwand. Seine Gestalt
war gleichsam in dem Waffenrock zusammenge-
sunken, und das unregelmäßige Gesicht mit seiner
Mischung von Kind und Mann, drückte tiefsinnige
Grübelei aus. Aber Mogren beachtete es nicht.
Er ließ sich grade gegenüber nieder und schmatzte
so zufrieden, daß Salmson aufsah. Beim Anblick
dieses lachenden Erdbeerhauptes zuckte es wieder
in Salmsons Blick, und als er ihn niedersenkte,
hatte er einen Ausdruck von bodenloser Demütigung.
— Doch es lag auch zugleich etwas anderes darin,
und das entging dem Philosophen nicht, der ein
großer Beobachter und überdies Spezialist für
212 und sein Seelenleben geworden war. Der
Leutnant hatte mit seinem Wort über Salmsons
Leib und Seele bloß ein tatsächliches Verhältnis
bestätigt. Salmson pflegte ja auch selbst die Ab-
hängigkeit von dem, der sein Leben jeden Morgen
zwischen 6 und 7 in der Hand hielt, hübsch an-
zuerkennen.
Aber heute schien er eigensinnig. Und das
was da in seinen Augen glomm, gab Mogren
einen neuen Einblick in das unbewußte Seelen-
leben, auf welches einzuwirken er die Pflicht und
Schuldigkeit hatte. War das nicht gerade ein
Zeichen jenes Trotzes?
Mogren aß, während er philosophierte. Dann
sagte er plötzlich, sanft einleitend: „Was geht in
Dir vor. 212?"
„Gar nichts — Mogren."
Mogren lachte giftig, doch behielt er seine
überlegene Ruhe bei.
„O ja, Freundchen. Ich sehe wohl, daß da
etwas vorgeht. Vielleicht auch — was."
„Weshalb" — Salmson kaute gleichsam an dem
Worte — „weshalb frägst Du dann?"
JUGEND
Und er erhob sich. Da stand 403 gleichfalls
auf. Aber da — setzte sich Salmson wieder und
blieb sitzen.
„212," schloß der Philosoph mit bedeutungs-
vollem Tonfall — „212, Du kannst nichts mehr
vor mir verbergen. Und Du sollst es lieber nicht
versuchen — zu Deinem eigenen Besten."
Und nach einem Druck auf Salmsons Schulter
verließ er würdevoll den Raum.
Doch 212 blieb zurück inmitten des starken
Geruchs von Bier und gehackten Wachholderreisern;
die ganze Rastzeit verweilte er dort in tiefen Ge-
danken, und so verlief ihm auch der Tag. Er
blieb gleich zerstreut auf dem Felde während des
Exerzierens, wie während der Betstunde und zu-
letzt oben in der Baracke.
— Mogren — unbeschränkte Macht — ohne
Kontrolle. Das ist noch schlimmer als der Quer-
baum.
So dachte Salmson.-Die ganze Nacht
lang grübelte er, und als die Reveille ertönte,
stand er auf, fahl und verwacht, aber mit einem
Lächeln auf den vollen Lippen, wie einer, der
einen großen Beschluß gefaßt hat.
Der Tageskorporal rief zur Doktoruntersuchung
auf und eine Anzahl wirklicher und verstellter
Kranker sammelte sich um ihn. Unter ihnen war
auch 212. Sie marschierten zu dem Arzt; die
Kompagnie trat an.
Man vermißte ihn erst, als der Querbaum
aufgestellt und das erste Glied vorkommandiert
worden war. Aber grade als der Leutnant mit lauter
Stimme nach 212 fragte, tauchte der in der offenen
Tür auf. Er lächelte fortgesetzt — zum ersten Mal
an diesem Orte —, doch bleich und mit einem
unbezwinglichen Zittern schlug er die Hacken zu-
sammen, machte Honneur und kam dem Leutnant
mit folgender Botschaft zuvor: „Leutnant! 212
Salmson meldet, daß der Doktor" — ein Sausen
fuhr durch die Turnhalle — „daß der Doktor ihm
— mir — die Uebung auf dem Querbaum ver-
boten hat."
„Ja. So. — Verboten? Weswegen?"
„Wegen — wegen zu schwacher Brust und leicht
angegriffener Herztätigkeit. Statt dessen soll ich —"
„Gut. Ich werde selbst mit dem Doktor reden.
— Weggetreten!"
In der Halle war es still. Man hörte das
Echo der Trommelwirbel und Hornsignale draußen
im Augustmorgen ertönen- Und Salmsons Schritt
hallte seltsam drinnen, als er wieder seinen Platz
im Gliede vor Mogren einnahm. Sie tauschten
einen raschen, kurzen Blick in dem Moment und
es lag ein Lächeln über den Zügen Beider.
Seitdem entging Salmson dem Querbaum.
Mit seinem bescheidenen Appell hatte er außer-
ordentlich den Doktor für seine Sache gewonnen,
wurde gründlich untersucht — und hatte gesiegt.
^2
07? C. Schu/albach
1907
Die Kompagnie bewunderte weder seinen Mut,
noch billigte sie dessen Belohnung, aber das
kümmerte ihn wenig. Der Schluß der Uebungs-
zeit war nahe und kam mit jedem Tag immer
berauschender heran. — Der Leutnant veränderte
sein Betragen anständigerweise nicht, eifrig und
wachsam behielt er die Aufsicht über Salmsons
einfache Freiübungen, während die anderen, unter
ihnen 403, die Kunststücke an den Querbäumcn
machten.
Doch 403 zog feine Hand ganz von seinem
Schützling ab. 212 brauchte ihn nicht mehr, und
das war es gerade, was 403 aufregte. Salmson
hatte seinen Lehren gehorcht und die Sache zu
einer Willenssache gemacht — und so war er fort-
geglitteu wie ein kleines, schlüpfriges Reptil
Am letzten Diensttage, als sich alles in Auf-
lösung befand und die Baracke von Harmonika-
spiel und Gesang widerhallte, saß der kleine
Salmson in wehmütigem Glück, mit gekreuzten
Beinen, auf seiner Pritsche. Da fand er auf
der Decke ein kleines Billet, versiegelt und mit
seiner Nummer und seinem Namen auf der
Außenseite. Er erbrach es ganz in Gedanken.
Und mit einem stillen Lächeln las er:
„Freundchen!
Lebewohl und Dank! Es ist Dir nicht geglückt,
mich das, was ich für Dich getan habe, bereuen
zu lassen. Ich bleibe Dir dankbar — weil Du
— unbewußt — meine Kenntnis der Menschen-
seele vermehrt hast.
Dein wahrer Freund
403."
Den Morgen darauf, dem Tage des Aufbruchs,
der Abreise und Befreiung, einem silberschimmern-
den und bleichen Herbsttage, fand 403 Mogren
auf dem Kopfkissen ein kleines versiegeltes Billet-
Er erbrach es lachend und las:
„Freund!
Dank — und Verzeihung! Dank für die Zeit,
die glücklicherweise vorbei ist. Dank dafür, daß
Du mich vom Tode gerettet hast. Und Verzeihung,
daß ich mich selbst vom Querbaum rettete — und
von Dir. Dank auch — gleichfalls Dir — für
meine nun vermehrte Kenntnis der Menschenseele.
Dein aufrichtiger
212."
(Aus dem Schwedischen von F. E. Vogel)
bleues von Serenissimus
Serenissimus besucht eine Gemäldegalerie und
Kindermann erklärt. „Das ist Faust und Gret-
chen!..." Lange denkt Hoheit angestrengt nach,
endlich geht ein verständnisvolles Lächeln über
sein Gesicht: „Aeh . . . äh . .. weiß schon, Kinder-
mann ... das ist das: ,Bin weder Jungfrau,
bin weder schön'. . ."
Liebe Jugend!
Regierungsrat von R. macht mit seiner
Familie eine Italienreise, und gebührend wird
dabei der schiefe Turm in Pisa bewundert.
„Sehr schön! Sehr schön das, hm," meint
k^err v. R. nachdenklich, „nur begreife ich
nicht, . . . a — hm ... wie man so etwas bau-
polizeilich gestatten kann!"
Sters die Gleichen
Ob sie nun in Domen horsten,
Ob in Tempeln, schon geborsten,
In Moscheen, in Synagogen,
Zwischen Säulen, unter Bogen,
Unter Palmen, unter Eichen,
Immer sind es doch die Gleichen:
Schnäbel stets nach einem Schnitt,
Stets dasselbe Kolorit!
Reinhard Volker
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