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Da fiel her Vef plötzlich ein, was ihre alle
Gotl, die Warbl, kürzlich erzählt hatte non ihrer
Herrschaft in Obermais, die sicl> rein zum Zeit-
vertreib allerlei wunderliche Viecher halte. Viecher,
auf die man dreimal Hinschauen mutz, eh man
dran glauben kann . . .

Und die Bef dachte und dachte, und noch ehe
sie daheim daran ging, dem Vater mit ihren zehn
Fingern den Salat anzumachen, war ihr Plan
fix und fertig. Am Abend setzte sie sich hin, schrieb
einen langen Brief nach Obermais, und als am
Sonntag nachmittag der alte Sieger eben über
der Heiligenlegende eingenickt war, schlich sich die
alte Warbl auf den Zehen zur Bef in die Kammer,
stellte einen grünverhängten Käfig auf den Tisch
und sagte:

„So, da hast sie. Sein tun sie ganz heimisch
alle drei, und derwischen kannst sie leicht. Über-
morgen hol' ih sie wieder ab, denn am Mittwoch
kommt meine Herrschaft z'rugg. Patz mir aber
ja gut auf drauf! Es fein japanische, mutzt wissen."

„Ist schltn recht, Warbl," sagte die Bef, trug
den Käfig behutsam hinunter in die Kuchl und
nickte vergnügt durrii das vergitterte Fenster nacl>
dem Linduerhof hinüber:

„So, Kristl, jetzt magst kemmen, wenn Du
willst. Jetzt ist er g'laden, der Schreckschuß!"

P *

*

Als am nächsten Vormittag um halb elf mit
gewohnter Pünktlichkeit ein breiter Schatten durchs
Fenster der Stegerkuchl auf die Anricht fiel, hielt
es die Bef für angezeigt, ihre Freude über die
preiswürdige Zuverlässigkeit dieser lebendigen Son-
nenuhr vorderhand zu verbergen. Sie fuhr, ohne
aufzusehen, fort, den Knödlspeck in kleine Würfel
z» schneiden, holte sich dann mit einem anmutigen
Seufzer der ihrem Bewußtsein absoluter Einsam-
keit Ausdruck geben sollte, zwei Paarlen Roggen-
brot aus dem Rahmen in der Ecke, und machte
sich im Vorbeigehn hinter einem grünen Tuche
zu schaffen. Mit der Zeit aber kam ihr jene
Sicherheit, die unbeobachteten Mädchen eigen ist,
doch allmählich abhanden: der erste Knödel, der
sich zwischen ihren Handflächen gerundet hatte,
fiel zu Boden und mutzte in das Pluderschaff ge-
worfen werden. Diese häusliche Handlung wurde
außerhalb des Kuchlfensters von einem Geräusche
begleitet, das jedermann erzielen kann, der es
versucht, möglichst schadenfroh durch die Nase zu
lachen.

„Jesses, der Kristl!" tat die Bef erschreckt.
„Jetzt, wenn man's vom Zuschau'n lernen kann,
nachher mutzt Du das Knödlkochen bald los haben!"

„Warum denn nit!" lachte der Kristl. „Über-
haupt scheint mir, Du machst die Knödl heint decht
lei für de Facken, und feil . . ."

Er brach jäh ab, nahm die Pfeife aus dem
Mund und sah starr auf den Kuchlboden hinein.

„Mutztnit lachen!" stieß er endlich hervor. „Was
sein jetzt das für ihre?"

„Das sein plentene!" erklärte die Bef sachlich
und stieß zehn Knödel in das kochende Wasser.
„Siehst feil nit?"

Der Kristl aber schüttelte den Kopf.

„Die Knödl mein ih nit . . . Ih mein die.. .
die Mäus'!"

„Sei so gut!" sagte die Vef beleidigt und be-
gann sichtlich empört das Kraut anzurichten. „Bei
mir gibt's keine Mäus', verstanden!"

„Aber . . . wenn ih Dir sag', Bef, da schau
grad einmal hin."

Jetzt fuhr die Bef aber doch herum.

„Ja, wo denn? sag' mir grad wo! ... Die
Spülhuder dort siech ih! Und das Kehrtatl. Und
die Bodenbürst auch . . . Also grad blind wär' ih
nit. Geh', Kristl, weißt, zum Aufnarren magst
Dir schon eine andere suchen. Zum Dummheiten
machen Hab' ih nit derweil!"

Der Kristl schwieg eine gute Weile, schluckte
ein paarmal und sagte endlich beklommen:

„Und ih kann Dir nit helfen, Bef: ih siech
alleweil drei weiße Mäus' umeinanderlaufen."

„Weiße Mäus'?" rief die Bef aus, tat einen
entsetzten Kreischer unb wich vor dem verdutzten

Der rote Apfel

Linen süßen roten Apfel schenkt' ich
Zärtlich ihr als Sinnbild meiner Liebe,

wohl den schönsten, den mein Garten brachte.

Und sie nahm den süßen roten Apfel,

Schüttelte die schwarzen Schlangenhaare,

Und sie spielte Ball mit ihm . . . und lachte!

Ließ ihn tanzen, tanzen aus und nieder.

Und mit ihren spitzen weißen Zähnen
Durch die Schale biß sie, daß es krachte!

Großer Gott, was ist das für ein Mädchen,
Diese Hexe, die mit wildem Zauber
Rote Hollenglut in mir entfachte?

Daß ich wandle wie in Heuerwolken,

Daß ich stürzen, daß ich sterben müßte,
wenn ich aus dem süßen Rausch erwachte!

Reinhard Volker

Kristl bis an das Schubertürl zurück. Dort stemmte
sie die runden Arme in die Seiten und holte tief
Atem, denn nun galt es jene Rede zu halten, auf
die sie bereits drei gute Stunden studiert hatte.

Da sich aber just in diesem Augenblicke das
Schubertürl öffnete und der alte Sieger durch das-
selbe von der Stube heraus verkündete, daß er
keineswegs gesonnen sei, bis Mitternacht auf die
Knödl zu warten, sah sich die Vef veranlaßt, die
geplante Feierlichkeit zu verschieben und mit zwei
dampfenden Schüsseln aus der Kuchl zu verschwin-
den, wobei sie jedoch nicht versäumte, die Türe
sorgsam hinter sich zu schließen und der ahnungs-
los im Hausgange sitzenden Katze einen gelinden
Warnungstritt zu versetzen.

Als sie nnd) dem Essen wieder herauskam,
saß der Kristl pfeifenrauchend auf der Hauswiese
und sah, ganz gegen seine Gepflogenheit, so schuld-
bewußt drein, daß das gute Herz der Vef auf der
Stelle eine Beute des heftigsten Mitleids wurde. Sie
setzte sieh unverweilt an seine Seite mit dem festen
Borsatze, die Schrecken der wohlvorbereiteten Rede
erheblich zu mildern, denn offenbar hatte der Schreck-
schuß schon an und für sich seine Wirkung getan.

„Kristl," begann sie und legte dem Beküm-
merten sanft die Hand auf die Schulter. „Gehst
nit heim zum Mittag? Wird Dir ja all's kalt."

„Bef," sagte der Kristl schaudernd, „red' mir
lei nix vom Essen: mir ist der Appetit vergangen."

„Schau, Kristl," sagte die Bef und rückte noch
näher. „Ih glaub Dir's ganz gern, denn G'spaß
ist das keiner. Aber was ein rechter Mander-
mensch ist, dersell muß nie verzagt sein. Und bei
Dir wird sich noch all's richten lassen . . . Sfreilid)
wirst Du selber auch schon g'hört haben, daß Leut',
die . . . die alleweil zuviel aufschütten, . . . daß
solchene Leut' nachher. . ."

„Ih versteh Di schon," seufzte der Kristl gänz-
lich ungetröstet und legte den Arm um die Bef.
„Und weißt, Bef, von die Leut' tät's mi ja gar
nit wundern. Aber . . ."

„Was aber?" fragte die Bef, etwas mißtrauisch
gegen des Kristls plötzlichen Hustenanfall.

„. . . . aber von der Katzl" jammerte der
Kristl. „Bon derselben wundert's mi schon tamisch.
Und mir tut sie soviel derbarmen."

„Die Katz?"

„Ja. Denk Dir lei, Befele, so ein arm's Biechl,
das seiner Lebtag kein Tröpfl Wein getrunken hat.
Und jetzt hebt sie Dir an zu spinnen und sieht
weiße Mäus'."

„Jnsere Katz?" rief die Bef erbleichend und
sprang auf. „Ja, wo ist sie denn? ... Ist sie

in der Krichl drinn? . . . Wie ist sie denn innl-
kemmen, das Rabenbratl?"

„Ih mein, durchs Feustergatterle," vermutete
der Kristl, nachdem er zum Entsetzen der Vef aber-
mals auf die sonderbarste Weise von der Welt
gehustet hatte. „Ein bißl g'holf'n werd' ih ihr
vielleicht schon haben derbei."

„Ja . . . und wenn sie schon drinn' ist," —
die Vef klammerte sich tapfer an den letzten Stroh-
halm — „wie kannst Du denn wissen, ob die Katz
die weißen Mäus' auch g'seh'n hat?"

Der Kristl schlug bedächtig ein Bein über das
andere und dachte eine Minute lang gewissenhaft
über die ihm vorgelegte Frage nach.

„Schau, Befele," Hub er endlich zögernd an.
„Ob sie sie g'seh'n hat, die Mäus', seil könnt' ih
Dir jetzt von der Katz gar nit einmal g'wiß sagen.
. . . Aber daß sie sie alle drei g'fress'n hat mit Putz
und Stingl, feil hon ih selber g'sech'n ..."

* »



Biel älter ist die Sieger Bef seitdem noch gar
nicht geworden. Und grad reel>t alt wird sie als
Sieger Vef wohl kaum werden. Aber um drei
Wissenschaften reidjer ist sie schon.

Sie weiß nunmehr genau, daß eine dressierte
japanische Tanzmaus zehn Kronen kostet, daß der
Gander Luis ei» tamifcher Pluiwasch, der Lindner
Kristl hingegen einer jener, im gesegneten Burg,
grasenamte keineswegs so seltenen Leute ist, die
gar nie soviel Wein trinken können, als wie sie
eigentlich von rechtswegen vertragen.

*

Der Wald

Bon Otto König

Als ich ein Knabe war, liebte ich den Wald
sehr. Die Geheimnisse seiner Einsamkeit, seine
tausend unbekannten, unaufhörlich schwirrenden
und singenden Stitiimen und Stimmchen, die die
Menschen so komisch Waldesstille heißen, das
Rascheln der hohen Farren, das Plaudern der
Blätter, Summen der Bienen und Käfer, Klopfen
der Spechte. Zu jeder Stunde des Tages liebte
ich ihn. Immer zeigte er ein anderes Gesicht,
andere Lärme. Im tauigen Erwachen des Morgens,
wenn die junge Sonne durch das verschlafene
Laub auf die Gräser hinunterblinzelt und ihnen
die Sorge des Abtrocknens der Morgenwäsche
abnimmt, die Millioiren Diamanten als Lohn mit-
führt, die ihr dann den ganzen Tag lang ihr
blendendes Flimmern und Glitzern leihen, im
heißen Alittag, wenn die dicken Stämme zu knistern
und zu schwitzen beginnen und der Duft der er-
hitzten Radeln, Harz und der durstig geöffneten
Blutenkelche so betäubend wird, daß du dich oft
ins frische, kühlende Moos wirfst, das noch ein
Stückchen Morgen in seiner Tiefe festgehalten hat,
daraus du Erfrischung trinken kannst, und am
Abend, wenn alle die Stimmen müde geworden
sind und der Wald nur ganz leise atmet, wie
einer, der von schwerem Fieber erschöpft in den
ruhigen Schlaf kühler Genesung hinüberdämmert.

Was Verse sind und Dichtung, das wußte ich
damals noch nicht. ‘Slber ich weiß heute, daß ich
sie tiefinnerlich fühlte. Fromm machte mich der
Wald. Wenn ich in toller Jagd nach Schmetter-
lingen oder Küfern in fein Revier kam, mäßigte
irl) meinen Schritt und trat leise auf. Auf alle
Geräusche horchend, oft stehenbleibend, wunderte
id) die überschatteten Wege, bis Id) wieder ins
Freie kam.

Diese Waldfrömmigkeit, denke id) mir, kam
daher: einmal, das weiß id) noch heute, waren
singende Menschen vor unserem Hause vorüber-
gegangen. „Der liebe Gott geht durd, den Wald.."
sangen sie. Das madste einen sehr tiefen Eindruck
auf mich und besd,äftigte midi lange. Da kamen
viele Fragen in der Folge, die id) mir nicht selbst
beantworten konnte und mit denen id) mich zu
Großmutter fliidjtete.

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Reinhard Volker: Der rote Apfel
Otto König: Der Wald
 
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