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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 15.1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.8184#0145
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Zltustvirte

UirtrrhaLtAirgS'VellaSr

des wahren Jacob

Iakwlr Andorf jr.

Geb. am 1. August 1835, gest. am 20. Juni 1898.

Vor sieben Jahren gaben wir unfern Lesern
Kunde von den, Ableben eines Veteranen des
Proletariats, des „alten Andorf", wie ihn die
Parteigenossen in Hamburg zu
Nennen pflegten. Gestern (am
20. Juni) überraschte uns die
Nachricht von dem Hinscheiden des
Sohnes, des „jungen Audorf", des
Dichters der Arbeiter-Marseillaise.

Wir verlieren in ihm nicht nur
kinen langjährigen treuen Freund,
sondern auch einen unserer begab-
testen Mitarbeiter. Wohl war
Audorf seit längerer Zeit an das
Krankenlager gefesselt, an eine
vollständige Genesung war kaum
Zu denken, aber dennoch wurde

Schlag von Allen, die dem
Mchter nahe gestanden haben, tief
^Pfunden. Noch vor wenigen
Dagen saß der Schreiber dieser
Zeilen mit Bebel vor Andorfs Bett.

Scherzhaft sagte der Kranke zu
Bebel: „Wir sind eigentlich als
„Lassalleaner" und „Ehrlicher" alte
Feinde, daher erfreut mich Ihre
Gegenwart heute doppelt. Christus
kam zum armen Lazarus und rief:

Lazarus, stehe auf! Rufen Sie das
doch auch! Aber aufstehen kann ich
flicht, wenn ich auch, wie ich so da-
t^ge, singen möchte. Wir wollen
^tüderschaft trinken, mein lieber
(flobel, und damit den alten Streit
oegraben!" Und also geschah es.

-Nit heißen Wünschen für einen
guten Ausfall der Wahl entließ
uns der Kranke.

, Jetzt hat der unbarmherzige
Dod sich Fch Opfer geholt und
wiederum Einen himveggerafft von
p11 „Alten", die aus der „Lassalle-
ichrn Zeit" stammen, die der Arbeiterbewegung
Tsahn gebrochen, ihr die Wege geebnet haben.
Was sich so herrlich entivickelt hat, ist jenen
Zapfern zu danken, die das Saatkorn in den
fotzen senkten in dem felsenfesten Glauben,
aß die Saat aufgehen und tausendfältige
rrrüchte tragen werde.

Ist auch der Säemann gefallen.

In guten Boden siel die Saat,

Uns aber bleibt die kühne That,

Heil'ges Vermächtniß sei sie Allen!

Unser Audorf ist dahingegangen von wan-
wn Keiner wiederkehrt, der Sängermund ist
orstummt, doch die Erinnerung an den Dichter
i^ Aflbeiter-Marseillaise wird lebendig bleiben
fl Millionen Proletarierherzen, und wenn einst
w Besten genannt werden in der Geschichte
es Emanzipationskampfs des Proletariats, so
wd Audorfs Name einer der ersten sein.

Ueber sein Leben entlehnen wir einige
otizen dem „Biographischen", das der
^udorfschen Gedichtsammlung (Stuttgart 1893)
orangestellt ist. Irren wir nicht, so ist diese
tographie von Manfred Wittich verfaßt und
or wahren im Berliner Sonntagsblatt ver-

Beilage zum „wahren Iacob" Är. 312 us, J898.

öffentlicht worden. Audorf selbst hat es ver-
anlaßt, daß der Artikel seinen Gedichten vor-
gedruckt worden ist. Es heißt darin u. A.:
Jakob Audorf wurde am 1. August 1835
in Hamburg geboren. Er besuchte die Paß-
mannsche Armenschule und durchlebte als drei-
zehnjähriger Knabe das merkwürdige Jahr 1848,



natürlich mit einer durch den Einfluß des Vaters
besonders erweckten Antheilnahine und mit ge-
läutertem Verständniß. Später ging er in die
Lehre als Schlosser und Mechaniker oder Ma-
schinenbauer, und mußte am Schraubstock, an
der Metalldrehbank und in der Schmiede fünf
schwere Jahre durchmachen. Seine Kenntnisse
suchte er im Hamburger Bildungsverein, da-
mals die Hochburg der dortigen Demokratie,
zu erweitern und ging 1857 im Herbst mit drei
Thalern in der Tasche auf die Wanderschaft.
Ein Jahr darauf finden wir ihn in der Schweiz,
wo er zwei Jahre lang dem deutschen Arbeiter-
verein in Winterthur präsidirte und Ersprieß-
liches leistete. 1859 entsandte man ihn als
Delegirten nach Zürich zum Schillersest, wo
Audorf die ungemein zündende Festrede hielt.

Aus eigener Kraft hatte sich Audorf die
Kenntniß der französischen Sprache angeeignet,
und so wanderte er 1861 durch die Schweiz
über Mülhausen nach Paris. Ueber London
nach Hamburg heimgekehrt, trat er in die da-
mals, 1863, eben in Fluß gekommene Lassallesche
Bewegung ein. Er wurde nach Leipzig delegirt,
wo er unter Lassalle den Allgemeinen Deutschen

Arbeiterverein mitgründete und zum Mitglied
des Vorstandes gewählt wurde.

1864 wurde die erste Todtenfeier zu Ehren
Lassalles gehalten, und Audorf verfaßte bei
dieser Gelegenheit das Lied, mit welchem er
sich in die Herzen der deutschen Proletarier
hineingesungen hat. „Dieses Lied wurde später
die deutsche Arbeiter-Marseillaise
genannt", schreibt der bescheidene
Mann. Und in der That, nicht
nur die Weise des Liedes, in die
dasselbe hineingesungen ist, be-
gründet diese Bezeichnung; es ist
wirklich das Kern- und Partei-
lied der Sozialdemokraten Deutsch-
lands geworden. Obgleich Schrei-
ber dieser Zeilen die sozialistische
Literatur so leidlich kennt und
zwei Jahrzehnte lehrend und ler-
nend, in Freud und Leid mit den
deutschen Arbeitern gelebt hat, —
so weiß er keinen Sang, der Audorfs
warm empfundene Strophen er-
setzen könnte.

Diesem Lied kommt ohne Zwei-
fel historische Bedeutung zu. . . .

Die Gräfin Hatzfeld und die
Prätendenten der Nachfolgerschaft
Lassalles sagten Audorf nicht zu,
und aller der folgenden Zwistig-
keiten innerhalb der Arbeiter-
partei müde, ging er 1868 nach
Rußland. Von dort rief ihn August
Geib nach Hamburg zurück in die
Redaktiondes „Hamburg-Altonaer
Volksblattes". Die Most-Hassel-
mannsche Richtung und Anderes
trieben ihn aber wieder nach Ruß-
land, wo er mit einer kurzen Unter-
brechung bis 1887 blieb.

Er kehrte nach Hamburg zu-
rück, trat bald darauf in die Re-
daktion des Hamburger Echo ein,
der er bis an sein Ende angehörte.
Er war verheirathet und führte
mit seiner Frau, einer National-
Russin, ein glückliches Familienleben. Kinder
sind der Ehe nicht entsprossen.

Audorf hat zweimal im Wahlkreise Lennep-
Mettmann für den Reichstag kandidirt, und
einmal kam er in die Stichwahl, ohne zu siegen.

Die einzige Art von Volksliedern, welche
beim Stande unserer derzeitigen Verhältnisse
möglich scheint, ist ihm vortrefflich gelungen.
Er hat aus den Empfindungen seiner Arbeits-
und Gesinnungsgenossen heraus „freiweg" ge-
sungen, was die Arbeiterschaft Deutschlands
bewegt. Seine Dichtungen sind für die Seelen-
zustände seiner „Klasse" wichtiger wie die Jbse-
niden Hauptmann, Holz, Schlaf und Konsorten,
weil seine Lieder auch wirkliche Volkslieder sind.

Am bekanntesten ward im Volke der deutschen
Arbeiter nach der Arbeiter-Marseillaise das
„Lied der Petroleure". Als Bebel im deutschen
Reichstag jederlei Verleumdung der Art gegen
die Kommunards ablehnte, ja, da war das
Stichwort gegen die deutschen Sozialdemokraten
gegeben: sie sind die Petroleure Deutschlands!

Wie die niederländischen Geusen und Käse-
bröter sich den Scheltnamen als Ehren- und
Parteinamen beilegten, mit derselben groß-

. '<?
 
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